Eine Billiardstel-Sekunde in Zeitlupe
Beobachtung und Kontrolle ultraschneller Prozesse mit Attosekunden-Auflösung
2018-02-20 – Nachrichten aus dem Physik-Department
Ein wichtiger Teilschritt vieler chemischer Prozesse sind Ionisierungen. Ein typisches Beispiel dafür ist die Photosynthese. Diese Reaktionen dauern nur wenige Femto- (Billiardstel-Sekunden) oder sogar nur einige hundert Attosekunden (Trillionstel-Sekunden). Weil sie so extrem schnell ablaufen, sind zwar Anfangs- und Endprodukte der Reaktionen bekannt, nicht jedoch die Reaktionswege und Zwischenprodukte.
Um solche ultraschnellen Prozesse verfolgen zu können, braucht die Wissenschaft daher eine Messtechnik, die noch schneller ist als der beobachtete Prozess selbst. Dies ist mit der sogenannten „Pump-Probe Spektroskopie“ möglich.
Dabei wird die Probe von einem ersten Laserpuls angeregt und die Reaktion in Gang gesetzt. Ein zweiter, zeitversetzter Puls fragt dann den momentanen Zustand des Prozesses ab. Durch Wiederholungen der Reaktion mit unterschiedlichen Zeitverzögerungen ergeben sich viele einzelne Momentaufnahmen, die dann zu einem „Video“ zusammengesetzt werden können.
Mehr sehen mit dem Zweiten
Nun ist es Wissenschaftlern um Birgitta Bernhardt, ehemals Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Laser- und Röntgenphysik der TU München und inzwischen Junior-Professorin am Institut für Angewandte Physik der Universität Jena, am Beispiel des Edelgases Krypton erstmals gelungen, zwei verschiedene Pump-Probe Spektroskopietechniken zu kombinieren und so die ultraschnellen Ionisierungsprozesse in zuvor nicht möglicher Genauigkeit sichtbar zu machen.
„Vor unserem Experiment konnte man entweder betrachten welcher Anteil des anregenden Lichtes über die Zeit von der Probe absorbiert wird oder messen welche und wie viele Ionentypen dabei entstehen“, erklärt Bernhardt. „Wir haben nun beide Techniken vereint und können auf diese Weise sehen, über welche genauen Schritte die Ionisierung abläuft, wie lange diese Zwischenprodukte bestehen bleiben und was genau der anregende Laserpuls in der Probe tut.“
Kontrolle ultraschneller Prozesse
Mit der Kombination der beiden Messtechniken können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht nur ultraschnelle Ionisierungsprozesse aufzeichnen. Durch die Variation der Intensität des zweiten, abfragenden Laserpulses können sie erstmals auch die Ionisierungsdynamik gezielt kontrollieren und auf diese Weise beeinflussen.
„Diese Kontrolle ist ein sehr starkes Instrument“, erklärt Bernhardt. „Wenn wir schnelle Ionisierungsprozesse genau nachvollziehen und sogar beeinflussen können, lernen wir viel Neues über lichtgesteuerte Prozesse wie die Photosynthese – gerade über jene ersten Momente, die diese komplexe Maschinerie in Gang setzen und die bislang kaum verstanden sind.“
Ultraschnelle Computer
Auch für die Entwicklung neuer, schnellerer Computerchips, in denen die Ionisierung von Silizium eine wesentliche Rolle spielt, ist die von Bernhardt und ihren Kollegen entwickelte Technik interessant. Kann man Ionisierungszustände von Silizium innerhalb eines so kurzen Zeitfensters nicht nur abfragen, sondern auch kontrolliert setzen – wie es die ersten Experimente am Krypton nahelegen – könnten Wissenschaftler dies vielleicht einmal nutzen, um neuartige und noch schnellere Computertechnologien zu entwickeln.
Weitere Informationen:
Die Arbeiten sind Ergebnis einer Kooperation der Arbeitsgruppen um Prof. Reinhard Kienberger, Inhaber des Lehrstuhls für Laser- und Röntgenphysik der TU München und Stephan Fritzsche, Professor am Theoretisch-Physikalischen Institut der Friedrich Schiller-Universität Jena.
Die Forschung wurde unterstützt durch das European Research Council (ERC), das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die Max-Planck-Gesellschaft, das Max-Planck-Institut für Quantenoptik, die Deutschen Forschungsgemeinschaft (im Rahmen des Exzellenzclusters Munich Centre for Advanced Photonics, MAP), die Alexander von Humboldt-Stiftung, die Carl Zeiss-Stiftung, das Donostia International Physics Center der Universität Donostia-San Sebastián (Spanien) und die Arbeitsgruppe Small Quantum Systems des European XFEL in Hamburg.
Veröffentlichung
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Links
Kontakt
- Prof. Dr. Birgitta Bernhardt (Jun.-Prof.)Friedrich-Schiller-Universität JenaAbbe Center of PhotonicsAlbert-Einstein-Straße 6, 07745 Jena, Germany
- Prof. Dr. Reinhard KienbergerTechnical University of MunichJames Frank Str. 1, 85748 Garching, Germany