Muster von Wellen und Ameisenstraßen
Musterbildung aktiver Systeme gewährt neue Einblicke in biophysikalische Prozesse
2018-06-29 – Nachrichten aus dem Physik-Department
Vogelschwärme, Bakteriensuspensionen oder auch das Zytoskelett, das aus fadenförmigen Zellstrukturen besteht, – sie alle sind physikalisch gesehen „aktive Materie“. So werden in der Physik Systeme bezeichnet, deren einzelne Teile sich aktiv bewegen.
Wie sich diese Bestandteile zu funktionellen Ensembles organisieren, ist eine zentrale Frage für das Verständnis des Lebens. Ein Team um die Professoren Andreas Bausch, Technische Universität München (TUM) und Erwin Frey, Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), stieß bei der Untersuchung eines aktiven Modellsystems auf einzigartige Phänomene.
Zum einen können sich bei gleichen Ausgangsbedingungen verschiedene dynamische Muster bilden, wobei diese sogar gleichzeitig existieren können. Zum zweiten werden sehr subtile Variationen auf mikroskopischer Ebene auf makroskopischer Ebene nicht etwa nivelliert, sondern haben große Auswirkungen auf das Gesamtsystem.
Ein „fliegender Teppich“
Als Modellsystem verwendeten die Wissenschaftler den sogenannten Motility Assay. Bei diesem Test werden Proteine, sogenannte Aktinfilamente, auf einen „Teppich“ aus Motorproteinen gegeben. Die Filamente binden an die Motorproteine und werden von diesen weiter transportiert.
„In der Regel fahren die Filamente auf den Motorproteinen in wellenartigen Clustern“, sagt Lorenz Huber, Doktorand in Freys Team und zusammen mit Ryo Suzuki und Timo Krüger Erstautor des Papers.
Kleine Änderung, große Wirkung
Experimente in Bauschs Labor zeigten, dass beispielsweise die Zugabe einer kleinen Menge Polyethylenglycol das für die Aktinfilamente verfügbare Volumen reduziert. Dies verändert nicht nur die Häufigkeit, sondern auch die Art der Wechselwirkungen. Das Resultat sind Muster, die an sich kreuzende Ameisenstraßen erinnern.
Das zeigt, dass sehr kleine lokale Modifikationen das System auf makroskopischer Ebene grundlegend ändern können. „Gewöhnlich wird davon ausgegangen, dass auf größeren Skalen kleine Details nicht mehr von Belang sind – in diesem System allerdings wirken sich kleine Unterschiede immer stärker aus, je weiter man aus dem System hinaus zoomt“, sagt Bausch.
Dynamisches Wechselspiel
Den Wissenschaftlern gelang es, ein theoretisches Modell zu entwickeln, das die Bewegung der Filamente abbildet und die experimentellen Ergebnisse widerspiegelt. Dabei zeigte sich, dass es einen Parameterbereich gibt, in dem sowohl Wellenmuster als auch Ameisenstraßen entstehen können – und in dem beides stabile Zustände sind.
„Mit dieser Bistabilität haben wir eine ganz neue Phase der Materie identifiziert“, sagt Frey. In weiteren Laborexperimenten gelang es den Wissenschaftlern, beide Zustände gleichzeitig zu erzeugen. Die polaren Wellen laufen über die Ameisenstraßen und „löschen“ diese dabei, hinterlassen aber gleichzeitig eine Art Moräne, die dann wieder zur Ameisenstraße wird. Es entsteht ein dynamisches Wechselspiel zwischen den beiden Mustern.
Aktive Systeme haben demnach die einzigartige Fähigkeit, bei identischen Anfangsbedingungen unterschiedliche Muster auszubilden. Diese Erkenntnis hat nach Ansicht der Wissenschaftler tiefgreifende Auswirkungen auf mehrere Forschungsbereiche und könnte neue Einblicke in biologische
Veröffentlichung
Weitere Informationen
Die Arbeiten wurden unterstützt durch das European Research Council (Advanced Grant SelfOrg) und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des SFB 863 und über den Exzellenzcluster Nanosystems Initiative Munich (NIM).
Video zu Wellenmuster und Ameisenstraßen
- Link auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=PFuVGiQholE
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