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Hochdruckforschung enthüllt Details zum Phasenübergang

Wie sich in thermoresponsiven Polymeren Aggregate bilden und wachsen

2018-01-24 – Nachrichten aus dem Physik-Department

Anders als Eis und andere anorganische Stoffe weisen die meisten Polymere keine scharfen Phasenübergänge auf. Statt bei einer bestimmten Temperatur zu schmelzen, werden sie allmählich weicher, ohne ihre mikroskopische Struktur signifikant zu verändern. Sogenannte thermoresponsive Polymere zeigen jedoch einen drastischen und diskontinuierlichen Phasenübergang mit schnellen strukturellen Änderungen. Ein internationales Forscherteam um Prof. Christine M. Papadakis vom Physik-Department der TUM hat eine Reihe unterschiedlicher Experimente unter hohem Druck durchgeführt, die wichtige Details über den physikalischen Mechanismus hinter diesem eigenartigen Verhalten enthüllen.

Hochdruckprobenzelle mit der Probe wird am Instrument KWS-3
Die Hochdruckprobenzelle mit der Probe wird am Instrument KWS-3 in eine Probenkammer eingebracht. KWS-3 ist ein Diffraktometer für sehr kleine Streuwinkel, das vom Jülich Centre for Neutron Science an der Forschungs-Neutronenquelle Heinz-Maier-Leibnitz (FRM II) betrieben wird. – Photo: Marie-Sousai Appavou / Forschungszentrum Jülich

Polymere sind große Moleküle, die aus Ketten von gleichartigen Wiederholeinheiten bestehen. Da es sehr viele verschiedene Polymere mit unterschiedlicher Zusammensetzung und damit auch mit ganz vielfältigen Eigenschaften gibt, spielen natürliche und synthetische Polymere im Alltag eine große Rolle.

Der Phasenübergang legt den Schalter um

Eine besondere Kategorie sind sogenannte „responsive Polymere“, die ihre Eigenschaften durch einen Reiz – wie zum Beispiel eine kleine Änderung von Temperatur, Druck, pH-Wert oder Salzkonzentration – stark ändern. Dies kann für eine Reihe von Anwendungen verwendet werden, so etwa Gele aus thermoresponsiven Polymeren, die sich bei einer kleinen Änderung der Temperatur stark ausdehnen oder schrumpfen. Solche Gele könnten bei Temperaturänderungen Ventile öffnen oder schließen, beispielsweise in Kanälen auf mikrofluidischen Chips. Polymergele könnten auch Substanzen wie Medikamente aufnehmen, transportieren und wieder abgeben und sind damit als Wirkstoffträger interessant. Bislang sind jedoch weder die Prozesse des Schaltens noch die molekularen Grundlagen des Verhaltens gut verstanden.

Aufnahmen mit optischer Mikroskopie einer 3 prozentigen Lösung von PNIPAM
(a-d) Aufnahmen mit optischer Mikroskopie einer 3 prozentigen Lösung von PNIPAM in schwerem Wasser bei Atmosphärendruck im Einphasengebiet (a) und im Zweiphasengebiet (b) sowie bei 800 Bar im Einphasengebiet (c) und im Zweiphasengebiet (d). (e,f) Ausgewählte SANS-Daten im Zweiphasengebiet bei Atmosphärendruck (e) und bei 800 Bar (f). – Abgedruckt mit freundlicher Erlaubnis von ACS Macro Lett. 6, 1180-1185 (2017). Copyright 2017 American Chemical Society.

Eine wässrige Lösung des thermoresponsiven Polymers Poly(N-isopropylacrylamid) (PNIPAM) dient als Modellsystem, um diese Effekte zu untersuchen. Wenn eine solche Lösung über die Phasenübergangstemperatur (ca. 32 \(^{\circ}\)C) erwärmt wird, kollabieren die Polymere plötzlich, spalten Wasser ab und bilden Aggregate. Bei Atmosphärendruck hört das Wachstum dieser Aggregate jedoch bei einer Größe von ca. 100 nm (1/10000 mm oder ungefähr 1/1000 der Dicke eines Haars) auf. Damit wird die erwartete makroskopische Phasentrennung nie erreicht.

Hochdruck klärt die Physik des Phasenübergangs auf

Um mehr über dieses Verhalten zu erfahren, suchte das internationale Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um Professorin Christine M. Papadakis nach einem neuen Ansatz: Sie untersuchten den Phasenübergang nach einer Druckänderung im Detail. Hierbei wurden die Stärken mehrerer experimenteller Methoden wie Raman-Spektroskopie und Neutronenkleinwinkelstreuung kombiniert. Dies hat gegenüber konventionellen temperaturabhängigen Messungen zwei wesentliche Vorteile: Druckänderungen haben einen Einfluss auf das Hydratationsverhalten und somit die Löslichkeit der Polymere. Außerdem kann der Druck in der Lösung sehr viel schneller und gleichmäßiger geändert werden, was die Charakterisierung der Frühstadien der Aggregatbildung ermöglicht.

Um die Hypothese zu überprüfen, dass Druck einen Einfluss auf die Aggregatbildung hat, wurden Drücke von einigen hundert Bar angewendet. „Durch die Kombination von Neutronenkleinwinkelstreuung an der TUM mit Raman-Spektroskopie konnten wir zeigen, dass Druck tatsächlich den Dehydratisierungsprozess am Phasenübergang abschwächt. Daher bilden sich unter hohem Druck Aggregate, die wesentlich größer sind und einen höheren Wassergehalt haben als bei Atmosphärendruck“, erklärt Professor Alfons Schulte, Gastprofessor von der University of Central Florida, USA.

Neutronen-Kleinwinkelstreuung an einer 3-prozentigen Lösung von PNIPAM
(a) Daten aus der Neutronen-Kleinwinkelstreuung an einer 3-prozentigen Lösung von PNIPAM in schwerem Wasser vor (schwarz) und nach (farbig) einem Drucksprung von 300 zu 160 Bar bei 35,1 °C. Die Wachstumsstadien I (blau), II (rot) und III (orange) sind links angezeigt. (b) Schematische Darstellung der Bildung und der strukturellen Entwicklung der Aggregate nach dem Drucksprung. Die schwarzen Quadrate zeigen ähnliche Längenskalen in allen Stadien an. – Abgedruckt mit freundlicher Erlaubnis von ACS Macro Lett. 7, 1155-1160 (2018). Copyright 2018 American Chemical Society.

Weitere Experimente mit Neutronen-Kleinwinkelstreuung wurden am Institut Laue-Langevin (ILL) in Grenoble durchgeführt. Die hohe Zeitauflösung bei diesen Experimenten ermöglichte den Wissenschaftlern, drei Stadien des Aggregatwachstums zu identifizieren: In der ersten Sekunde nach dem Drucksprung nukleieren erste kleine Domänen, die zunächst nach den Gesetzen der Diffusion wachsen. Nach ca. 20 s verlangsamt sich jedoch das Wachstum, da sich an der Oberfläche der Aggregate eine dichte Polymerschale bildet, die das weitere Verschmelzen der Aggregate verhindert.

Die Kombination verschiedener experimenteller Methoden ist der Schlüssel

Christine Papadakis fasst zusammen: „Das Anlegen von Hochdruck verändert die Hydratation von responsiven Polymere, was eine deutliche Auswirkung auf die Strukturen im phasenseparierten Zustand hat. Unsere Kombination verschiedener experimenteller Methoden hat zu einem umfassenden Bild der Strukturbildungsprozesse geführt. Das Außergewöhnliche ist, dass wir gleichzeitig den Zeitbereich von ca. 50 Millisekunden bis zu Tausenden von Sekunden untersuchen konnten sowie den Längenbereich von ca. 1 bis 100 nm. Unsere Methode bietet damit neue Möglichkeiten, die strukturellen Änderungen in komplexen Mischungen in bislang nicht erreichtem Umfang zu untersuchen.“

KWS-3 am Heinz-Maier-Leibnitz-Zentrum (MLZ)
KWS-3 am Heinz-Maier-Leibnitz-Zentrum (MLZ) ist ein Diffraktometer für sehr kleine Streuwinkel, das mit einem fokussierenden Spiegel arbeitet. Die Hochdruckprobenzelle wird diese Probenkammer eingebracht. – Photo: Wenzel Schürmann / TUM

Weitere Informationen

Diese Arbeiten wurden in einer engen Zusammenarbeit der Arbeitsgruppe Papadakis mit Prof. Alfons Schulte (University of Central Florida, Orlando, USA) durchgeführt. Gegenseitige Forschungsaufenthalte wurden vom TUM August-Wilhelm Scheer Gastprofessorenprogramm sowie dem Fakultäts-Graduiertenzentrum Physik der TUM ermöglicht. Die für das Projekt wesentlichen Neutronenexperimente wurden am Heinz-Maier-Leibnitz-Zentrum (Garching) und am Institut Laue-Langevin (Grenoble, Frankreich) durchgeführt. Die Hochdruckprobenzelle am MLZ basiert auf einem Entwurf der Zelle am Paul-Scherrer-Institut (Villigen, Schweiz) (siehe Literaturverzeichnis in ACS Macro Lett. 6, 1180-1185 (2017)).

Veröffentlichungen

Kontakt

  • Prof. Christine Papadakis
    Physik-Department, Technische Universität München,
    James-Franck-Str. 1, 85747 Garching, Germany
    Tel.: (+49) 89 289 12 447, Fax: (+49) 89 289 12 473
  • Prof. Alfons Schulte
    University of Central Florida
    Department of Physics and College of Optics and Photonics
    4111 Libra Drive, Orlando, FL 32816-2385, U.S.A.
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