Newton auf den Kopf gestellt
Oszilliation statt freier Fall – Quanteninterferenz führt zu überraschendem Ergebnis
2017-06-01 – Nachrichten aus dem Physik-Department
Ein vom Baum fallender Apfel soll Isaac Newton zu jener Theorie inspiriert haben, die die Bewegung eines Objekts beschreibt. Die Newtonschen Gesetze besagen, dass ein sich bewegendes Objekt sich so lange gerade weiterbewegt, bis eine äußere Kraft seine Bahn verändert.
Die Bedeutung dieser Bewegungsgesetze ist allgegenwärtig und reicht vom Fallschirmspringer im Schwerefeld der Erde über das Gefühl der Trägheit in einem beschleunigenden Flugzeug bis zu den Umlaufbahnen der Planeten um die Sonne.
In der Quantenwelt hingegen stößt dieses Alltagsverständnis von Bewegung an Grenzen und manchmal scheitert es sogar. In der aktuellen Ausgabe von „Science“ beschreibt ein internationales Team von Physikerinnen und Physikern aus Innsbruck, München, Paris und Cambridge (USA) ein Quantenteilchen, das ein völlig unerwartetes Verhalten zeigt.
In einem sogenannten Quantengas bewegt sich das Teilchen nicht wie der berühmte fallende Apfel, sondern es schwingt hin und her. Grundlage der überraschenden Beobachtung ist die sogenannte Quanteninterferenz, jene Gesetzmäßigkeit der Quantenmechanik, wonach Teilchen sich wie Wellen verhalten, die sich aufsummieren oder auslöschen können.
Nahe am absoluten Nullpunkt
Um das Teilchen oszillieren zu sehen, kühlte das Forscherteam ein Gas aus Cäsiumatomen fast bis auf den absoluten Nullpunkt ab und sperrte es in sehr dünne „Röhrchen“, die mit Laserstrahlen erzeugt wurden. Mit einem Trick brachten sie die Atome zu starken Wechselwirkungen.
Unter diesen extremen Bedingungen bilden die Teilchen eine Art Quantenflüssigkeit, deren Bewegung nur entlang der Röhrchen möglich ist. Das Team beschleunigte dann ein weiteres Atom in einem anderen Spinzustand durch dieses Gas, was in unserer Alltagswelt dem Fall des Apfels vom Baum entspräche.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beobachteten jedoch, dass die Quantenwelle des Atoms von den anderen Atomen gestreut und wieder zurückreflektiert wurde. Ergebnis ist eine verblüffende Oszillationsbewegung. Das Experiment zeigt, dass Newtons Gesetze in der Quantenwelt nicht uneingeschränkt gelten.
Kristallines Verhalten von Quantenflüssigkeiten
Die Tatsache, dass Quantenwellen in bestimmte Richtungen reflektiert werden können, ist nicht neu. So ist zum Beispiel bekannt, dass Elektronen im Kristallgitter eines Festkörpers reflektiert werden, was als Bragg-Streuung bezeichnet wird.
Im Innsbrucker Experiment war allerdings kein Kristall vorhanden. Es war vielmehr das atomare Gas selbst, das eine Art versteckte Ordnung darstellte. Die Physik bezeichnet das als Korrelation.
Die nun veröffentlichte Arbeit zeigt, wie diese Korrelationen in Verbindung mit der Wellennatur von Materie die Bewegung von Teilchen in der Quantenwelt bestimmen und zu neuen Phänomenen führen, die auf den ersten Blick unserer Intuition widersprechen.
Grundlegende Mechanismen in elektronischen Bauteilen verstehen
„Die Eigentümlichkeit der Quantenmechanik zu verstehen, ist für eine ganze Reihe von Anwendungen interessant “, sagt Michael Knap, Professor für Kollektive Quantendynamik an der TU München. „Zum Beispiel könnten diese Ergebnisse dabei helfen, grundlegende Mechanismen in elektronischen Bauteilen oder sogar Transportprozesse in komplexen biologischen Systemen besser zu verstehen und damit technisch nutzbar zu machen.”
Die Forschung wurde vom europäischen Wissenschaftsrat (ERC), vom österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF), von der National Science Foundation (NSF) und dem Air Force Office of Scientific Research (AFOSP) der USA, der Alexander von Humboldt Gesellschaft, dem Max-Planck-Institut für Quantenoptik und dem TUM Institute for Advanced Study finanziell unterstützt. Neben dem Physik Department der TU München waren das Zentrum für Quantenphysik der Universität Innsbruck, das Laboratoire de Physique Théorique et Modèles Statistiques der Universität Paris-Sud und das Physik-Department der Harvard Universität (Cambridge, Massachusetts, USA) an der Forschungsarbeit beteiligt.
- Redaktion
- Dr. Andreas Battenberg, Dr. Johannes Wiedersich
Veröffentlichung
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