Wichtiger Hinweis / Important notice

Die Webseite www.ph.tum.de wurde am 31.03.2023 eingefroren. Mit dem Zusammenschluss der Fakultäten Chemie und Physik zur TUM School of Natural Scienes finden Sie aktuelle Informationen dort.

The website www.ph.tum.de was frozen on 31.03.2023. With the merger of the Faculties of Chemistry and Physics to form the TUM School of Natural Sciences, you will now find up-to-date information there.

https://www.nat.tum.de

GW170817: Durchbruch für eine Multi-Messenger-Astronomie

Münchner Physiker beobachten Gamma- und optische Pendants zum Gravitationswellen-Signal

2017-10-16 – Nachrichten aus dem Physik-Department

Zum ersten Mal ist es gelungen, die Signale von elektromagnetischen sowie Gravitationswellen aus der Kollision zweier Neutronensterne zu messen. Physiker des von der Technischen Universität München (TUM) geführten Sonderforschungsbereichs 1258 „Neutrinos und Dunkle Materie“ konnten die Nachwirkungen dieses energiereichen Ereignisses mit ihren Beobachtungsinstrumenten aufzeichnen. Zum ersten Mal können nun Theorien zum genauen Verlauf der Verschmelzung überprüft werden - und die theoretischen Modelle zu den Größen, Massen und Materieeigenschaften von Neutronensternen.

Diese künstlerische Darstellung zeigt zwei winzige, aber sehr dichte Neutronensterne an dem Punkt, an dem sie als Kilonova verschmelzen und explodieren. – Bild: ESO/L. Calçada/M. Kornmesser

Die Verschmelzung von zwei Neutronensternen ereignete sich in der Galaxie NGC4993, rund 130 Millionen Lichtjahre entfernt von der Erde. Die Gravitationswellen dieses gewaltigen Ereignisses wurden von dem amerikanischen Laser Interferometer Gravitational Wave Observatory (LIGO) und seinem europäischen Schwesterinstrument VIRGO am 17. August 2017 aufgezeichnet (GW170817). Begleitet wurde dieses Ereignis von einem kurzen, weniger als zwei Sekunden dauernden Gammastrahlenausbruch (Gamma-ray burst) (GRB170817A).

Neutronensterne: Materie unter extremsten Bedingungen

Mit Hilfe dieser Beobachtung können die Physiker einer fundamentalen Frage der Physik einen Schritt näherkommen: der nach dem Zustand der Materie in einem Neutronenstern. Neutronensterne sind die kleinsten und dichtesten Sterne, von deren Existenz wir wissen. Als Endzustand des Kollapses eines massereichen Sternes haben Neutronensterne einen typischen Radius von 10 bis 20 Kilometern, bei etwa zweifacher Masse der Sonne. Modellen zufolge bestehen sie fast vollständig aus Neutronen – aufgrund der enormen Dichte wurden die Elektronen der Atomhüllen in die Atomkerne gequetscht, und haben die dortigen Protonen in Neutronen umgewandelt.

Abstoßende Kernkräfte verhindern den weiteren Kollaps

Einen weiteren Kollaps der Materie verhindern abstoßende starke Kernkräfte zwischen den Neutronen. „Bisher wissen wir jedoch noch fast nichts über die genaue Zusammensetzung und die Teilchenwechselwirkungen der Materie unter so extremen Bedingungen“, sagt Laura Fabbietti, Professorin für dichte und seltsame hadronische Materie an der TUM und Hauptwissenschaftlerin des Sonderforschungsbereichs. Sie erforscht seit Jahren die physikalischen Eigenschaften von Materie in Neutronensternen. „Nun können wir erstmals unsere Theorien überprüfen.“

Ein kurzer Gammastrahlenausbruch

Beobachtet werden konnte die Kollision mit den beiden am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik gebauten Detektoren, Fermi-GBM sowie dem Spektrometer auf INTEGRAL. „Als Ursprung eines solchen charakteristischen kurzen Gammastrahlenausbruchs werden seit 30 Jahren verschmelzende Neutronensterne vermutet“, sagt PD Dr. Jochen Greiner vom MPE, einer der Hauptwissenschaftler des Sonderforschungsbereiches 1258. „Jetzt haben wir erstmals eine eindeutige Bestätigung für diese Modellvorstellung.“

Mosaik aus VISTA-Aufnahmen von NGC 4993 mit der zeitlichen Änderung der Kilonova
Dieses Mosaik zeigt, wie sich die Kilonova in NGC 4993 aufgehellt hat, viel röter wurde und dann in den Wochen nach der Explosion am 17. August 2017 verblasste. Diese Bilder wurden mit dem Infrarot-Teleskop VISTA des Paranal-Observatoriums der ESO in Chile aufgenommen. – Bild: ESO/N.R. Tanvir, A.J. Levan and the VIN-ROUGE collaboration

Das Leuchten einer Kilonova

Auch erwarten die Physiker ein über Tage andauerndes Leuchten im Bereich des optischen/nahen Infrarot-Lichts, das Astronomen als Kilonova bezeichnen: In alle Richtungen wird in Folge des Verschmelzungsprozesses Materie ausgeschleudert, vor allem Neutronen und in geringer Anzahl Protonen und Helium-Atomkerne. Innerhalb weniger Sekunden wandeln sich die Helium-Kerne durch Verschmelzung, weitere Neutroneneinfänge und nachfolgende radioaktive Zerfälle und Spaltungsreaktionen in schwere Elemente mit hohen Atommassenzahlen um.

Bild vom MUSE-Instrument am Very Large Telescope der ESO am Paranal-Observatorium in Chile zeigt die Galaxie NGC 4993
Dieses Bild vom MUSE-Instrument am Very Large Telescope der ESO am Paranal-Observatorium in Chile zeigt die Galaxie NGC 4993, die etwa 130 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt ist. Die Galaxie ansich ist nicht ungewöhnlich, aber sie enthält etwas, was noch nie zuvor beobachtet wurde: die Nachwirkungen der Explosion eines Neutronensternpaares, ein seltenes Ereignis, das als Kilonova bezeichnet wird (oberhalb und etwas links vom Zentrum der Galaxie). Die Verschmelzung der Neutronensterne führte auch zu Gravitationswellen und Gammastrahlen, die von LIGO-Virgo bzw. Fermi/INTEGRAL detektiert wurden. Über die Erzeugung eines Spektrums für jeden Teil des Objekts lässt sich mit MUSE die Emission von leuchtendem Gas erkennen, das hier in Rot erscheint und eine überraschende Spiralstruktur aufweist. – Bild: ESO/J.D. Lyman, A.J. Levan, N.R. Tanvir

Zerfallende radioaktive Elemente

Die neu entstandenen radioaktiven Atomkerne zerfallen in stabile Elemente und senden dabei bis zu zehn Tage lang Gammastrahlung aus, die ihrerseits das ausgeworfene Material heizt und zu einer breitbandigen elektromagnetischen Emission führt. Auch diese Kilonova wurde von mehreren unabhängig arbeitenden Astronomen-Gruppen innerhalb von 12 Stunden in dem etwa 100 Quadratgrad großen Fehlerbereich des Gravitationswellenereignisses aufgespürt.

„Diese Beobachtungen bestätigen die theoretischen Vorstellungen über das Verschmelzen von Neutronensternen und die dabei auftretenden energiereichen Prozesse, wie das Ausschleudern erheblicher Mengen radioaktiver Materie“, sagt Jochen Greiner.

Bestätigung der Theorien zur Entstehung der schwersten Elemente

„Vor allem aber liefern sie neue Einsichten zur Entstehung der schwersten Elemente“, ergänzt Prof. Hans-Thomas Janka vom MPA, ebenfalls einer der Hauptwissenschaftler des SFB1258, der sich seit langem mit den theoretischen Modellen von Neutronensternen, Supernovae und Gammastrahlenausbrüchen befasst.

Kein signifikantes Neutrino-Signal

Weitere kosmische Zeugen eines so hochenergetischen Ereignisses wie eine Neutronenstern-Verschmelzung können Neutrinos sein. Allerdings konnten die Wissenschaftler der IceCube-Kollaboration, die am Südpol das weltweit größte Neutrino-Teleskop betreiben, kein signifikantes Signal entdecken. Die Erklärung dafür ist einfach: „Das Ereignis war zu weit weg“, erklärt Elisa Resconi, Professorin für Experimentalphysik mit kosmischen Teilchen an der TUM und Sprecherin des SFB1258. „Neutrinos sind sehr flüchtige Teilchen. Bei solch großen Entfernungen können wir mit unseren Detektoren die Boten solcher Ereignisse kaum mehr aufspüren. Aber wir hoffen darauf, dass IceCube von zukünftigen Ereignissen Neutrino-Signale detektieren wird.“

Beginn einer Gravitationswellen-Astronomie

Seit dem vergangenen Jahr wurden bereits mehrfach Gravitationswellen von kollidierenden Schwarzen Löchern gemessen, was mit dem Nobelpreis für Physik 2017 gewürdigt wurde. Das nun bekannt gegebene Ereignis markiert einen weiteren, entscheidenden Durchbruch hin zu einer Multi-Messenger-Astronomie: „Mit Hilfe von Gravitationswellen sind nun eine Vielzahl an neuen, zur klassischen Astronomie komplementären Messungen möglich, und damit sind Antworten auf bislang unbeantwortete Fragen in Reichweite gerückt“, sagt Elisa Resconi. Dies wird die Forschung am Münchner SFB1258 maßgeblich beeinflussen.

Veröffenetlichungen

  • Search for High-Energy Neutrinos from Binary Neutron Star Merger GW170817 with Antares, IceCube and the Pierre Auger Observatory
    Antares, IceCube, Pierre Auger, LIGO Scientific and Virgo Collaborations
    submitted to The Astrophysical Journal
  • A kilonova as the electromagnetic counterpart to a gravitational wave source
    S.J. Smartt et al.

Mehr erfahren am Tag der offenen Tür

Am Physik-Department gibt es beim Tag der Offenen Tür am 21.10.2017 als besonderen Programmpunkt einen Vortrag zur aktuellen Entdeckung:

  • 17:00 Uhr: Vortrag
    Kollidierende Neutronensterne – wie Gold und Platin im All entstehen
    Prof. Dr. Hans-Thomas Janka, Physik-Department, Hörsaal 2

Neben dem TUM Physik-Department haben auch die beiden am SFB 1258 beteiligten Max-Planck-Institute sowie die ESO geöffnet. Im Vortragsprogramm der Exzellenzcluster gibt es zwei Vorträge zum Thema Gravitationswellen.

Weitere Informationen zum Tag der offenen Tür finden Sie auf der Website www.forschung-garching.tum.de.

Kontakt

  • Prof. Dr. Laura Fabbietti
    Technical University of Munich
    CRC1258 Neutrinos and Dark Matter in Astro- and Particle Physics
    Physics Department
    James-Franck-Straße
    85748 Garching, Germany
    T: +49 89 289 12433
  • PD Dr. Jochen Greiner
    Max Planck Institute for Extraterrestrial Physics
    Gießenbachstraße 1
    85748 Garching, Germany
    T: + 49 89 30000-3847
  • Prof. Hans-Thomas Janka
    Max Planck Institute for Astrophysics
    Karl-Schwarzschild-Straße 1
    85748 Garching, Germany
    T: +49 89 30000-2228
  • Prof. Elisa Resconi
    Technical University of Munich
    CRC1258 Neutrinos and Dark Matter in Astro- and Particle Physics
    Physics Department
    James-Franck-Straße
    85748 Garching, Germany
    T: +49 89 289 12422

Pressekontakt

Petra Riedel
Technische Universität München
SFB1258 Neutrinos und Dunkle Materie in Astro- und Teilchenphysik
Physik Department
James-Franck-Straße
85748 Garching
T: 089 289 12445
Nach oben