GW170817: Durchbruch für eine Multi-Messenger-Astronomie
Münchner Physiker beobachten Gamma- und optische Pendants zum Gravitationswellen-Signal
2017-10-16 – Nachrichten aus dem Physik-Department
Die Verschmelzung von zwei Neutronensternen ereignete sich in der Galaxie NGC4993, rund 130 Millionen Lichtjahre entfernt von der Erde. Die Gravitationswellen dieses gewaltigen Ereignisses wurden von dem amerikanischen Laser Interferometer Gravitational Wave Observatory (LIGO) und seinem europäischen Schwesterinstrument VIRGO am 17. August 2017 aufgezeichnet (GW170817). Begleitet wurde dieses Ereignis von einem kurzen, weniger als zwei Sekunden dauernden Gammastrahlenausbruch (Gamma-ray burst) (GRB170817A).
Neutronensterne: Materie unter extremsten Bedingungen
Mit Hilfe dieser Beobachtung können die Physiker einer fundamentalen Frage der Physik einen Schritt näherkommen: der nach dem Zustand der Materie in einem Neutronenstern. Neutronensterne sind die kleinsten und dichtesten Sterne, von deren Existenz wir wissen. Als Endzustand des Kollapses eines massereichen Sternes haben Neutronensterne einen typischen Radius von 10 bis 20 Kilometern, bei etwa zweifacher Masse der Sonne. Modellen zufolge bestehen sie fast vollständig aus Neutronen – aufgrund der enormen Dichte wurden die Elektronen der Atomhüllen in die Atomkerne gequetscht, und haben die dortigen Protonen in Neutronen umgewandelt.
Abstoßende Kernkräfte verhindern den weiteren Kollaps
Einen weiteren Kollaps der Materie verhindern abstoßende starke Kernkräfte zwischen den Neutronen. „Bisher wissen wir jedoch noch fast nichts über die genaue Zusammensetzung und die Teilchenwechselwirkungen der Materie unter so extremen Bedingungen“, sagt Laura Fabbietti, Professorin für dichte und seltsame hadronische Materie an der TUM und Hauptwissenschaftlerin des Sonderforschungsbereichs. Sie erforscht seit Jahren die physikalischen Eigenschaften von Materie in Neutronensternen. „Nun können wir erstmals unsere Theorien überprüfen.“
Ein kurzer Gammastrahlenausbruch
Beobachtet werden konnte die Kollision mit den beiden am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik gebauten Detektoren, Fermi-GBM sowie dem Spektrometer auf INTEGRAL. „Als Ursprung eines solchen charakteristischen kurzen Gammastrahlenausbruchs werden seit 30 Jahren verschmelzende Neutronensterne vermutet“, sagt PD Dr. Jochen Greiner vom MPE, einer der Hauptwissenschaftler des Sonderforschungsbereiches 1258. „Jetzt haben wir erstmals eine eindeutige Bestätigung für diese Modellvorstellung.“
Das Leuchten einer Kilonova
Auch erwarten die Physiker ein über Tage andauerndes Leuchten im Bereich des optischen/nahen Infrarot-Lichts, das Astronomen als Kilonova bezeichnen: In alle Richtungen wird in Folge des Verschmelzungsprozesses Materie ausgeschleudert, vor allem Neutronen und in geringer Anzahl Protonen und Helium-Atomkerne. Innerhalb weniger Sekunden wandeln sich die Helium-Kerne durch Verschmelzung, weitere Neutroneneinfänge und nachfolgende radioaktive Zerfälle und Spaltungsreaktionen in schwere Elemente mit hohen Atommassenzahlen um.
Zerfallende radioaktive Elemente
Die neu entstandenen radioaktiven Atomkerne zerfallen in stabile Elemente und senden dabei bis zu zehn Tage lang Gammastrahlung aus, die ihrerseits das ausgeworfene Material heizt und zu einer breitbandigen elektromagnetischen Emission führt. Auch diese Kilonova wurde von mehreren unabhängig arbeitenden Astronomen-Gruppen innerhalb von 12 Stunden in dem etwa 100 Quadratgrad großen Fehlerbereich des Gravitationswellenereignisses aufgespürt.
„Diese Beobachtungen bestätigen die theoretischen Vorstellungen über das Verschmelzen von Neutronensternen und die dabei auftretenden energiereichen Prozesse, wie das Ausschleudern erheblicher Mengen radioaktiver Materie“, sagt Jochen Greiner.
Bestätigung der Theorien zur Entstehung der schwersten Elemente
„Vor allem aber liefern sie neue Einsichten zur Entstehung der schwersten Elemente“, ergänzt Prof. Hans-Thomas Janka vom MPA, ebenfalls einer der Hauptwissenschaftler des SFB1258, der sich seit langem mit den theoretischen Modellen von Neutronensternen, Supernovae und Gammastrahlenausbrüchen befasst.
Kein signifikantes Neutrino-Signal
Weitere kosmische Zeugen eines so hochenergetischen Ereignisses wie eine Neutronenstern-Verschmelzung können Neutrinos sein. Allerdings konnten die Wissenschaftler der IceCube-Kollaboration, die am Südpol das weltweit größte Neutrino-Teleskop betreiben, kein signifikantes Signal entdecken. Die Erklärung dafür ist einfach: „Das Ereignis war zu weit weg“, erklärt Elisa Resconi, Professorin für Experimentalphysik mit kosmischen Teilchen an der TUM und Sprecherin des SFB1258. „Neutrinos sind sehr flüchtige Teilchen. Bei solch großen Entfernungen können wir mit unseren Detektoren die Boten solcher Ereignisse kaum mehr aufspüren. Aber wir hoffen darauf, dass IceCube von zukünftigen Ereignissen Neutrino-Signale detektieren wird.“
Beginn einer Gravitationswellen-Astronomie
Seit dem vergangenen Jahr wurden bereits mehrfach Gravitationswellen von kollidierenden Schwarzen Löchern gemessen, was mit dem Nobelpreis für Physik 2017 gewürdigt wurde. Das nun bekannt gegebene Ereignis markiert einen weiteren, entscheidenden Durchbruch hin zu einer Multi-Messenger-Astronomie: „Mit Hilfe von Gravitationswellen sind nun eine Vielzahl an neuen, zur klassischen Astronomie komplementären Messungen möglich, und damit sind Antworten auf bislang unbeantwortete Fragen in Reichweite gerückt“, sagt Elisa Resconi. Dies wird die Forschung am Münchner SFB1258 maßgeblich beeinflussen.
Veröffenetlichungen
- Search for High-Energy Neutrinos from Binary Neutron Star Merger GW170817 with Antares, IceCube and the Pierre Auger ObservatoryAntares, IceCube, Pierre Auger, LIGO Scientific and Virgo Collaborationssubmitted to The Astrophysical Journal
- A kilonova as the electromagnetic counterpart to a gravitational wave sourceS.J. Smartt et al.DOI: 10.1038/nature24303
Mehr erfahren am Tag der offenen Tür
Am Physik-Department gibt es beim Tag der Offenen Tür am 21.10.2017 als besonderen Programmpunkt einen Vortrag zur aktuellen Entdeckung:
- 17:00 Uhr: VortragKollidierende Neutronensterne – wie Gold und Platin im All entstehenProf. Dr. Hans-Thomas Janka, Physik-Department, Hörsaal 2
Neben dem TUM Physik-Department haben auch die beiden am SFB 1258 beteiligten Max-Planck-Institute sowie die ESO geöffnet. Im Vortragsprogramm der Exzellenzcluster gibt es zwei Vorträge zum Thema Gravitationswellen.
- 12.00 Uhr: Vortrag: “Rätselhafte Supernovae”14.00 Uhr: Vortrag: “Gravitationswellen”
- Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik
- 14.00 Uhr: Vortrag “Rätselhafte Supernovae”15.00 Uhr: Vortrag “Gravitationswellen”
- Europäische Südsternwarte (ESO)
Weitere Informationen zum Tag der offenen Tür finden Sie auf der Website www.forschung-garching.tum.de.
Kontakt
- Prof. Dr. Laura FabbiettiTechnical University of MunichCRC1258 Neutrinos and Dark Matter in Astro- and Particle PhysicsPhysics DepartmentJames-Franck-Straße85748 Garching, GermanyT: +49 89 289 12433
- PD Dr. Jochen GreinerMax Planck Institute for Extraterrestrial PhysicsGießenbachstraße 185748 Garching, GermanyT: + 49 89 30000-3847E-Mail: jcg@mpe.mpg.de
- Prof. Hans-Thomas JankaMax Planck Institute for AstrophysicsKarl-Schwarzschild-Straße 185748 Garching, GermanyT: +49 89 30000-2228
- Prof. Elisa ResconiTechnical University of MunichCRC1258 Neutrinos and Dark Matter in Astro- and Particle PhysicsPhysics DepartmentJames-Franck-Straße85748 Garching, GermanyT: +49 89 289 12422