IceCube: Detektion eines hochenergetischen Teilchens beweist eine 60 Jahre alte Theorie
2021-03-10 – Nachrichten aus dem Physik-Department
Am 6. Dezember 2016 raste ein Elektron-Antineutrino mit nahezu Lichtgeschwindigkeit aus dem Weltraum auf die Erde. Tief im Eis des Südpols traf es mit einer Energie von 6,3 Petaelektronvolt (PeV) ein Elektron und erzeugte ein Teilchen, das wiederum schnell in einen Schauer aus Sekundärteilchen zerfiel. Die Interaktion wurde vom IceCube Neutrino Teleskop beobachtet, das tief in das Eis des Südpols vergraben ist.
Es zeigte sich, dass IceCube erstmals eine Glashow-Resonanz gesehen hatte, eine Beobachtung, die erneut das Standardmodell der Teilchenphysik bestätigt. Sheldon Lee Glashow hatte diese Resonanz erstmals 1960 vorgeschlagen, als er Postdoktorand am heutigen Niels-Bohr-Institut in Kopenhagen, Dänemark, war. Dort schrieb er eine Arbeit, in der er vorhersagte, dass eine Interaktion eines Antineutrino mit einem Elektron in einem als Resonanz bekannten Prozess ein noch unentdecktes Teilchen erzeugen könnte - sofern das Antineutrino genau die richtige Energie hätte.
Als das vorgeschlagene Teilchen, das W- -Boson, 1983 endlich entdeckt wurde, stellte sich heraus, dass es viel schwerer war als das, was Glashow und seine Kollegen 1960 erwartet hatten. Die Glashow-Resonanz würde ein Neutrino mit einer Energie von 6,3 PeV erfordern, was 1000-mal mehr ist, als der Large Hadron Collider am CERN erreichen kann. Auch auf absehbare Zeit wird kein Teilchenbeschleuniger auf der Erde in der Lage sein, Neutrinos so hoher Energien zu erzeugen.
Supermassive Schwarzer Löcher in den Zentren von Galaxien und andere extreme kosmische Ereignisse können Teilchen jedoch auf solche ultrahohen Energien bringen. Ein derartiges Phänomen war wahrscheinlich auch für das hochenergetische Antineutrino verantwortlich, das IceCube im Dezember 2016 beobachtet hatte.
Seit IceCube im Mai 2011 seinen vollen Betrieb aufgenommen hat, hat das Teleskop Hunderte von hochenergetischen astrophysikalischen Neutrinos entdeckt und 2018 erstmals einen Blazar als Quelle kosmischer Neutrinos identifiziert. Das Glashow-Ereignis ist jedoch aufgrund seiner außergewöhnlich hohen Energie besonders bemerkenswert: Es ist erst das dritte von IceCube beobachtete Signal mit einer Energie von mehr als 5 PeV.
„Dieses Ergebnis zeigt die Möglichkeiten der Neutrino-Astronomie, welche in der zukünftigen Multimessenger-Astroteilchenphysik eine wichtige Rolle spielen wird, sowie die Leistungsfähigkeit von IceCube“, sagt Christian Haack, der während seiner Arbeit an dieser Analyse Doktorand an der RWTH Aachen war und inzwischen als Postdoktorand in der Gruppe von Prof. Elisa Resconi an der Technischen Universität München forscht. “Wir können einzelne Neutrino-Ereignisse erkennen, die klar außerirdischen Ursprungs sind.”
Eine Glashow-Resonanz ermöglicht auch die eindeutige Identifizierung von Antineutrinos. Frühere IceCube-Messungen konnten nicht zwischen Neutrinos und Antineutrinos unterscheiden; nun wurde auch erstmals eine Antineutrino-Komponente im astrophysikalischen Neutrino-Fluss gemessen.
Zwar lassen sich bestimmte Charakteristika der astrophysikalischen Neutrino-Quellen nicht aus der Beobachtung ihrer Neutrinos ableiten, dazu gehören etwa die physikalische Größe des Beschleunigers und die Magnetfeldstärke in seiner Umgebung. Eine Bestimmung des Verhältnisses von Neutrinos zu Antineutrinos erlaubt jedoch Rückschlüsse auf einige dieser Eigenschaften.
Um die Entdeckung zu bestätigen und das Neutrino-Antineutrino-Verhältnis zu messen, wollen die IceCube Wissenschaftler mehr Glashow-Resonanzen sehen. Eine Erweiterung des IceCube-Detektors, genannt IceCube-Gen2, würde es den Physikern ermöglichen, solche Messungen mit statistischer Signifikanz durchzuführen. In den nächsten Jahren wird als erster Schritt in diese Richtung ein Upgrade in den Detektor implementiert.
Auch Glashow, jetzt emeritierter Professor für Physik an der Boston University, betont die Notwendigkeit, mehr Glashow-Resonanzen zu messen. “Um absolut sicher zu sein, sollten wir ein weiteres Ereignis mit der gleichen Energie beobachten, wie das, was wir gesehen haben”, sagt er. “Bisher gibt es eine Resonanz. Eines Tages werden es mehr sein.”
Weitere Informationen
Das IceCube Neutrino Observatory wird hauptsächlich von der National Science Foundation, USA, finanziert und hat seinen Hauptsitz im Wisconsin IceCube Particle Astrophysics Center, einem Forschungszentrum der University of Wisconsin-Madison, USA. Die Forschungsanstrengungen von IceCube, einschließlich wichtiger Beiträge zum Detektorbetrieb, werden von Institutionen in Australien, Belgien, Kanada, Dänemark, Deutschland, Japan, Neuseeland, der Republik Korea, Schweden, der Schweiz, dem Vereinigten Königreich und den USA finanziert. Der Bau von IceCube wurde auch mit bedeutenden Beiträgen aus Belgien, Deutschland und Schweden sowie der University of Wisconsin-Madison, USA, finanziert.