Eine synthetische Nanopore imitiert den Transport von Substanzen durch Zellmembranen
2012-11-19 – Nachrichten aus dem Physik-Department
In den letzten drei Jahrzehnten entwickelte sich die DNA-Nanotechnologie von einer theoretischen Idee zu einer angewandten Wissenschaft, die mit einem großen Methodenschatz und einem Portfolio unterschiedlicher Objekte im Nanometer-Bereich ihr Potenzial unter Beweis stellt. Das Neue an dieser Arbeit hier ist, dass DNA-Technologie eingesetzt wurde, um mit Nanoporen einen der in der Natur am weitesten verbreiteten Regulationsmechanismen nachzubauen.
Um das Zellinnere von der äußeren Umgebung abzuschotten, verwenden alle Lebewesen dieselbe Barriere: eine undurchlässige Membran aus zwei Schichten von Lipiden. Diese Doppelmembran findet man auch im Zellinneren, etwa als Hülle des Zellkerns. Auch viele Viren sind von solch einer Doppelmembran umgeben. Zum Austausch zwischen den unterschiedlichen Milieus auf beiden Seiten dieser Barriere wird in der Natur ein weit verbreiteter Durchlassmechanismus eingesetzt: Membrankanäle sind röhrenförmige Strukturen aus Eiweißbausteinen (Proteinen), die durch die Lipidschichten hindurchragen und den Austausch von Substanzen und Informationen in beide Richtungen regulieren. Forschern ist es nun erstmals gelungen, einen solchen Membrankanal aus DNA-Strukturelementen zu konstruieren, der vielfältig eingesetzt werden könnte: „Wenn Sie eine Substanz in eine Zelle injizieren wollen, müssen Sie irgendwie ein Loch in die Zellmembran stanzen. Mit diesen kanülenartigen Strukturen schaffen wir das, zumindest in Modellzellmembranen“, erläutert Prof. Hendrik Dietz von der TU München, Fellow am TUM Institute for Advanced Study.
In ihrer von natürlichen Protein-Membrankanälen inspirierten Struktur erinnern die DNA-basierten Membrankanäle an eine Art röhrenförmigen Stiel, der mit einer Länge von 42 Nanometern die Membran durchspannt, wobei der Innen-Durchmesser nur zwei Nanometer beträgt. Eine fassförmige Hülle am oberen Ende des Stiels mit einem Ring aus Cholesterinbausteinen verankert das Konstrukt in der Lipidmembran, während der Stiel durch die Membran hindurchragt und damit einen funktionsfähigen Kanal bildet. Prof. Friedrich Simmel von der TU München, der auch Ko-Koordinator der Excellence Cluster Nanosystems Initiative München ist, erläutert: „Wir haben diese Membrankanäle bisher noch nicht an lebenden Zellen getestet. In unseren Experimenten mit Lipidvesikeln konnten wir zeigen, dass unsere synthetischen DNA-Membrankanäle in der korrekten Orientierung an Lipid-Doppelmembranen binden, sodass der Stiel die Membran durchdringt und in der Membran verankert bleibt, und damit eine Nanopore bildet.”
In weiteren Experimenten konnte gezeigt werden, dass diese Nanoporen eine elektrische Leitfähigkeit besitzen, die mit der Leitfähigkeit natürlicher Ionenkanäle vergleichbar ist. Damit könnten sie auch als eine Art spannungsabhängige Kontrolltore fungieren. Die Ergebnisse legen nahe, dass der Stromfluss über die Membranen durch strukturelle Modifikationen der synthetischen Ionenkanäle noch genauer reguliert werden könnte. Um eine mögliche Anwendung dieser sich selbsttätig zusammenlagernden DNA-Strukturelemente zu untersuchen, setzten die Forscher sie als „Nanoporen“ in verschiedenen Testsystemen molekularer Sensorik ein. Bei diesen Experimenten konnte man anhand der veränderten elektrischen Leitfähigkeit die Passage einzelner Moleküle durch die synthetischen DNA-Nanoporen verfolgen. Da in diesem experimentellen Ansatz sowohl räumliche als auch chemische Eigenschaften der Membrankanäle modifiziert werden können, könnte diese DNA-Nanotechnologie gegenüber zwei weitere Typen molekularer Sensoren von Vorteil sein, bei denen biologische oder auch Festkörper-Nanoporen genutzt werden.
Weitere denkbare Anwendungsfelder werden noch erforscht. Ein Ansatzpunkt ist, in einem Modellsystem zu imitieren, wie Viren oder Bakteriophagen in die Zellwand von Bakterien eindringen, um sie zu zerstören. In der Gentherapie könnten synthetische Membrankanäle als eine Art Nano-Kanüle eingesetzt werden, mit der Substanzen ins Zellinnere gebracht werden können. Die Nanoporen könnten auch in der Grundlagenforschung zum Zellstoffwechsel Verwendung finden. Eine weitere Idee ist, den sogenannten Ionenfluss, der den Transport von Substanzen durch Ionenkanäle bewirkt, zu nutzen, um komplexe Nanobauteile anzutreiben, die von anderen natürlich vorkommenden Strukturen inspiriert sind. „Wir könnten damit natürliche Ionenpumpen nachbauen, oder auch Transportproteine und Rotationsmotoren wie beispielsweise das für die ATP-Synthese verantwortliche Enzym“, sagt Dietz. „Ich finde diese Idee faszinierend. Das motiviert mich, hier weiter zu forschen.“
Diese Arbeiten wurden unterstützt durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) über das TUM Institute for Advanced Study, das Excellence Cluster NIM (Nanosystems Initiative Munich) und CIPSM (Center for Integrated Protein Science Munich), den Sonderforschungsbereich SFB 863 des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF, Grant 13N10970); den Europäischen Forschungsrat (Dietz, Starting Grant GA256270) und durch die National Institutes of Health (Mayer, Grant 1R01GM081705).
Veröffentlichung
Kontakt
- Prof. Hendrik Dietz
- Technische Universität MünchenPhysik-Department, Walter Schottky Institute / ZNNAm Coulombwall 4a85748 Garching, GermanyTel: +49 89 289 11615E-mail: dietz@tum.de
- Prof. Friedrich Simmel
- Technische Universität MünchenPhysik-Department, Walter Schottky Institute / ZNNAm Coulombwall 4a85748 Garching, GermanyTel: +49 89 289 11611E-mail: simmel@tum.de